Vom Geisterdorf zum Ort der Zukunft

Veröffentlicht am 30. November 2024 um 17:00

🇩🇪 Bürgewald, Morschenich-Alt

 

Läuft man durch den Ort am Rande des Braunkohletagebau Hambach, der früher Morschenich hieß, könnte man meinen, dass man sich in einem Geisterdorf befindet. Überwucherte Wege, überquellende Briefkästen und menschenleere Straßen erinnern an eine postapokalyptische Welt. Erst kürzlich wurde der Ortsname in Bürgewald umgewandelt. Bürgewald liegt zudem mitten im Grünen und lädt somit zu ausgiebigen Wanderungen und Spaziergängen in der Umgebung ein. Besonders das gleichnamige Wäldchen Bürgewald, das direkt an das Dorf angrenzt, bietet sich dafür an. Bis 2070 soll nur ein Kilometer entfernt vom Dorfzentrum der zweitgrößte See Deutschlands, durch Flutung des Tagebau Hambachs, entstehen.

Leichte Wanderung. Für alle Fitnesslevel. Leicht begehbare Wege. Kein besonderes Können erforderlich. Der Startpunkt der Tour liegt direkt an einem Parkplatz.

Ende 2020 wurden sämtliche Häuser der Ludwig-Rixen- Straße, der Elsdorfer Straße und der Straße Auf dem Goldacker, die in den 1950er Jahren erbaut wurden, abgerissen. Der historische Ortskern blieb allerdings unangetastet. Die Kirche in Morschenich wurde 2019 als letzte am Tagebau Hambach entweiht, soll jedoch wieder genutzt werden. Derzeit untersuchen Denkmalpfleger des Landschaftsverbandes Rheinland die historischen Gebäude darauf, ob diese erhaltenswert und typisch für den ländlichen Raum sind. 

Bürgewald soll ein Dorf der Zukunft werden. Dabei geht es nicht um den Bau eines komplett neuen Dorfs. Es geht darum, den Bestand von Morschenich-Alt zu sanieren und mit einem Fokus auf Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln. Unter anderem wird die Infrastruktur in Angriff genommen. Straßen, Kanäle, Strom- und Wasserversorgung wurden jahrelang kaum in Stand gehalten. Das gilt es nun aufzuarbeiten. Das frühere Ortsbild mit historischen Gebäuden bleibt erhalten und wird durch innovative Gebäude städtebaulich ergänzt. Es entstehen Konzepte für eine innovative, klimaneutrale Energieversorgung des Ortes. Auch das soziale Miteinander soll nicht zu kurz kommen. Soziale Einrichtungen werden klimaangepasst saniert und gestaltet. Die abgebrannte Sankt Lambertus-Kirche wird wiederaufgebaut und soll eine zentrale Rolle für das spätere Dorfleben spielen. Genauso wie die Nähe zum entstehenden Tagebau-See, in dessen Landschaft Bürgewald eingebunden werden soll.

Bürgewald ist ein selten authentisch erhaltenes, typisches Straßendorf der Rheinischen Bördelandschaft, das in dieser Form einzigartig ist. Im Ort haben sich über die Jahrhunderte Strukturen und bauliche Zeugnisse bis heute erhalten. In diesen sind prägende Entwicklungen – von der mittelalterlichen Rodung über die Industrialisierung sowie dem Braunkohleabbau bis hin zu den Entwicklungen der Klimaproteste - abzulesen und nachzuvollziehen.

Der nördliche Teil der Unterstraße, welcher bis ins 20. Jahrhundert locker oder teilweise gar nicht bebaut war, ist nach 1945 zunehmend verdichtet worden. Teils sind die historischen Vertreter noch vorhanden und die ehemalige Bebauung samt ihrer Parzellenstruktur und der damit verbundenen Wirkung auf den Straßenraum noch nachzuvollziehen. Die Nummer 23 etwa, ein eingeschossiger und traufständiger Bau mit Backsteinfassade und profiliertem Sockel, zeugt von der Erweiterung und Modernisierung des an der Giebelseite erkennbaren Fachwerkgebäudes bereits im 19. Jahrhundert. Der L-förmige Bau bildet zusammen mit Nebengebäuden einen Hof, der über ein Tor zur Straße hin abgegrenzt ist. Rückwärtig schließt sich eine Gartenfläche an.

Kurz dahinter führt uns der Weg raus aus Bürgewald und eine offene Ackerlandschaft öffnet sich. Im Hintergrund die Reste des Waldes und die Tagbau-Abbruchkante. Hier geht es nun auch entlang und es zeigt sich, wie monströs und beeindruckend das Tagebauloch ist. Kaum vorzustellen, dass bis 2070 hier der zweitgrößte See Deutschlands entsteht.

Wieder in Richtung Dorf bildet das Wegkreuz an der Unterstraße einen wichtigen Blickpunkt. Das Wegekreuz am Schnittpunkt der von dort nahezu achsensymmetrisch abgehenden Feldwege wird von zwei Kastanien gerahmt, wodurch sich der Eindruck der Symmetrie nochmals verstärkt. Am Horizont der dahinter sich heute ausbreitenden Ackerflächen zeichnet sich die Tagebaukante ab.

Die typische Straßenrandbebauung wird mit dem Bau der Bergarbeitersiedlung am nördlichen Ende der Unterstraße in den 1940er/50er Jahren wiederaufgenommen und die Bebauung des Straßenzuges nach Norden erweitert. Die Anlage besteht aus sieben giebelständigen und zweigeschossigen, in Backstein errichteten Typenbauten mit Vorgarten, von denen die südlichen zwei und der nördliche hervorspringen. Verbunden sind die Häuser durch Garagen. Hierdurch wird der bestehende, historische Rhythmus von Wohnhaus und Tordurchfahrt aufgenommen und fortgesetzt. Rückwärtig an die Bauten schließen sich Gärten an.

Und so soll es bis 2070 am heutigen Tagebauloch und in Bürgewald aussehen, Zukunftsperspektiven und Studien.

Die Landschaft der Region wurde im Laufe der Zeit mehrfach an die Bedarfe der Menschen angepasst. Arnold von Arnoldsweiler ritt um den Bürgewald, erhielt diesen zum Geschenk und gab ihn als Gemeingut den umliegenden Ortschaften. Die Tagebaulandschaft gab und gibt einerseits vielen Menschen „Lohn und Brot“, ist andererseits der Anlass, um sich für Klima- und Naturschutz zu engagieren. Am Rand von Bürgewald (Morschenich-Alt) sollen jetzt neue Geschichten geschrieben werden. Während die Abstimmungsprozesse zur Entwicklung des neuen Orts Bürgewald noch laufen, soll schon kurzfristig ein Pionierort am Hambach Loop zur Verfügung gestellt werden. Hier könnten Bürgerinnen und Bürger die Landschaft auf eigene Weise gestalten. Es könnte beispielsweise eine Oase entstehen, ein Garten für alle. Der Ort könnte in der Nähe des Schutzwalls zum Tagebau liegen. Hier könnte eine kleine Aussichtsplattform mit Blick in den Tagebau auf einem Modulbau errichtet werden.

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