Antalya: Ein Spaziergang durch die Altstadt von Kaleiçi




Wer heute durch Kaleiçi streift, die Altstadt von Antalya, bewegt sich durch ein Labyrinth aus Erinnerungen. In der Mittagshitze flirren die Fassaden alter Handelshäuser, der Jasmin über den Mauern duftet schwer. Katzen dösen in Hauseingängen, und irgendwo erklingt das Klimpern eines Teeglases auf dem Tablett. Abends drängen sich Paare durch die engen Gassen, suchen Bars, Restaurants, den Weg zurück zur Pension. Nur selten bleibt jemand stehen, um ein Straßenschild zu lesen. Wozu auch? Die Namen sind meist türkisch, klingen vertraut – und sagen doch wenig. Civelek Sokak. Tabakhane Sokak. Yahudi Sokak. Vielleicht hält jemand kurz inne, wenn er „Kilise“ liest. Aber was soll das schon heißen? Wer nicht gerade Google Maps fragt, geht einfach weiter.
Dabei erzählen diese Namen Geschichten. Und manchmal erzählen sie mehr, als das Auge sieht.
Die Uzun Çarşı Sokak zum Beispiel, die „lange Basarstraße“, zieht sich in einem weiten Bogen durch Kaleiçi – nicht streng geradlinig, sondern wie eine gedachte Linie, die sich durch Jahrhunderte windet. Händler kamen hier einst aus dem Binnenland herunter, von Elmalı oder Burdur, und trugen ihre Waren über die Kırkmerdiven – die „Vierzig Stufen“ – vom Hafen hinauf zur Stadt. Diese Treppe gibt es noch. Wer sie geht, steigt in ein altes Bild: Dattelkörbe, Fischkisten, Gewürzsäcke, Stimmengewirr – und mittendrin der Geruch von Ziegenleder.
Ein paar Gassen weiter liegt die Tabakhane Sokak, benannt nach den Gerbereien, die hier einst lagen. Noch in den 1960er Jahren hing in dieser Straße der schwere, stechende Geruch von gegerbtem Leder. Männer mit groben Händen schleppten Häute durch die Tore, und das Wasser, das in den Rinnen ablief, war trüb und rötlich. Heute rauscht da nur noch ein Klimagerät.
Wer weiterzieht, erreicht irgendwann die Yahudi Sokak – eine schmale Gasse mit weißen Mauern und Fensterläden, still, fast vergessen. Ihr Name verweist auf das jüdische Viertel, das es hier einst gab: klein, aber lebendig. Es gab eine Synagoge, Händler, eine Familie Yusufaki, die Stoffe verkaufte. Nach 1945 sind die letzten gegangen. Zurück blieb ein Straßenname – und ein Echo in den Geschichten der Stadt.
Und dann ist da die Kilise Sokak. Wer hier geht, hört manchmal Glocken – nicht wirklich, aber in der Vorstellung. Denn dort steht noch heute eine Kirche, die Hagios Alypios, die überlebt hat. Lange war sie ein Lagerraum, heute ist sie wieder ein Gotteshaus. Doch der Name der Straße verrät mehr als die Google-Bewertung auf der Hotelplattform: „Kilise“ heißt schlicht „Kirche“. Und dass es diese Gasse gibt, mit diesem Namen, ist ein kleines Wunder – oder ein Überbleibsel des Gewohnten, das niemand für störend hielt.
Manche Namen klingen nüchtern und sachlich, fast langweilig. Die Hesapçı Sokak etwa – die „Straße der Buchhalter“ – lässt nichts Aufregendes erwarten. Und doch ist sie eine stille Linie durch das ehemals griechische Viertel, das sich mit seinem regelmäßigen Straßenraster deutlich von den organischen, verwinkelten Strukturen der türkischen Mahalle unterscheidet. Wer sie abschreitet, bewegt sich durch eine soziale Geografie – ein Kaleiçi, das einst nach Herkunft, Sprache, Religion und Beruf gegliedert war. Eine Stadt in der Stadt.
Wenige Gassen weiter, an einem unscheinbaren Knotenpunkt, liegt die Balıkpazarı Sokak – die „Straße des Fischmarkts“. Heute riecht es hier nach heißem Asphalt und Sonnencreme, doch in den 1960er Jahren war dies das Herz des Viertels: mit dem bekanntesten Bäcker, mit einem Fischhändler, und – als Fenster zur Welt – dem „İnci Sineması“, dem ersten Kino von Kaleiçi. Noch bevor der Fernseher Einzug in die Wohnzimmer hielt, war es diese Straße, die für Abendvergnügen und das kollektive Gedächtnis der Anwohner stand. Straßennamen sind in Kaleiçi keine Dekoration. Sie sind Gedächtnisstützen. Wenn man sie lesen will.


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