Vom Meer in die Berge, im Schatten der Schlucht: Eine Reise durch den Köprülü-Canyon bis zum Abgrund von Tazı





Der Fluss der Brücken – Geschichte in Bewegung
Der Köprüçay, eiskalt und in unwirklichem Türkis, durchschneidet den Park wie eine pulsierende Lebensader. Sein Name – „Brückenfluss“ – verweist bereits auf die enge Verflechtung von Geografie und Geschichte, die diese Region prägt. Römische Brückenbögen überspannen noch heute Teile des Flusses, allen voran die antike Oluk-Köprüsü, deren moosbedeckte Steine von einer Zeit erzählen, als Selge eine befestigte Bergstadt Pisidiens war. Hier „kommt“ man nicht einfach an – man wird Teil eines Prozesses: das rhythmische Klatschen der Paddel, das Pfeifen der Mauersegler in den Falten des Canyons, das Lachen neoprenverhüllter Besucher, die sich unbeholfen in Schlauchboote wagen.




Rafting als Ritual – Inszeniertes Abenteuer trifft stille Natur
Das Raften auf dem Köprüçay ist heute weniger Pilgerfahrt als ritualisierte Freizeitgestaltung. Ausgerüstete Guides, bewaffnet mit Walkie-Talkies und GoPros, brüllen Kommandos in einem wilden Mix aus Türkisch, Englisch und Russisch, während die Boote in die Strömung geschubst werden. Trotz aller inszenierten Action – Wasserschlachten, synchronisierte Rufe, das obligatorische „High Five mit dem Paddel“ – bleiben die umliegenden Klippen ungerührt. Älter als all das Spektakel, blicken sie schweigend herab, gleichgültig gegenüber der gelben Helme und kreischenden Stimmen. Der Adrenalinschub ist echt – aber ebenso echt ist die Choreografie, die kommerzialisierte Begegnung mit der Wildnis, die dennoch Demut hinterlässt.




Über den Fluss hinaus – Eine Stadt zwischen Ruinen und Ritualen
Wer sich nur auf dem Fluss bewegt, verpasst eine entscheidende Achse des Parks. Ein kurzer, rumpeliger Abzweig – eher Steinschlacht als Straße – führt bergauf zu den Überresten von Selge, jener pisidischen Stadt, die einst Alexander trotzte und später Rom diente. Heute grasen Ziegen, wo einst das Forum hallte, und ein halb erhaltenes Theater blickt über den Canyon hinweg. Hier erscheinen die Frauen des Dorfes wie Erscheinungen – sie bieten bestickte Tischdecken und Taschen an, nicht aufdringlich, sondern mit ritueller Entschlossenheit. Man fühlt sich weniger als Käufer, mehr als Figur in einer Inszenierung: Der Tourist als wandelndes Ziel, das Deckchen als symbolisches Opfer. Wer diese Begegnung als bloßen Verkauf abtut, verkennt die subtile Choreografie des Überlebens, die der ländliche Tourismus in diese vergessenen Orte bringt.




Der Blick in den Abgrund – Majestätisches Tazı
Doch alle Abzweigungen führen letztlich zu einem Punkt: dem Tazı-Canyon – heute berühmt, oft fotografiert, und dennoch unbezähmbar beeindruckend. Der Weg zum Aussichtspunkt führt durch ein struppiges Waldstück, dessen Bäume sich verzweifelt an Felsvorsprünge klammern. Der Pfad ist nicht schwer, verlangt aber Aufmerksamkeit. Dann – ganz plötzlich – fällt das Land ab. Senkrechte Wände stürzen hunderte Meter in eine enge Schlucht, in der der Fluss – aus dieser Distanz stumm – seinem uralten Lauf folgt. Der Blick ist nicht weit, sondern tief: Er zieht einen in die Umarmung des Canyons, in seine Tiefe, seine Schichten, seine Gleichgültigkeit.



Inszenierte Stille – Menschen am Rand des Staunens
Die Stille hier ist nicht absolut. Sie wird durchzogen von Geräuschen: das Summen einer Drohne, das Rascheln anderer Besucher auf der Suche nach dem perfekten Foto. Und natürlich die vertraute Szene: Menschen, die am Abgrund posieren – mutig, dramatisch, immer klein vor der gewaltigen Kulisse. Der Felsvorsprung selbst ist nicht heiliger als andere – doch die Bilder, die hier entstehen, tragen eine eigentümliche Schwere: Menschen am Rand des Begreifens, Teil der Landschaft und gleichzeitig fremd darin.



Ein Ort, der bleibt – Jenseits von Selfies und Schlagzeilen
Tazı ist längst kein Geheimtipp mehr – aber nicht alles Geheime ist unbekannt. Manches ist nur unzureichend bemerkt. Trotz der Menschenmengen bewahrt der Canyon seine Kraft, weil er sich nicht auf eine Broschüre reduzieren lässt, nicht in einer Bildunterschrift aufgeht. Seine Dramatik ist nicht filmisch, sondern geologisch. Nicht emotional, sondern existenziell. Man verlässt diesen Ort nicht nur mit Fotos – sondern mit dem Gefühl, etwas Zeitloses erblickt zu haben. Etwas, das nicht bewundert werden will, sondern einfach ist.


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